Bauen ist ein Klimakiller. Was können wir besser machen? Darüber diskutiert die 18. Architektur Biennale in Venedig. Im Fokus steht vorwiegend Afrika, der Kontinent, der den Wandel dringend braucht. Es geht dabei um Dekolonisieren und Dekarbonisieren und darum, was der Globale Norden vom Globalen Süden lernen kann und umgekehrt, sodass daraus eine Win-win-Situation entsteht.
Zukunftslabor Architektur
Die Erwartungen sind also hoch, wenn man unter dieser Prämisse das „Zukunftslabor Architektur“ auf der Biennale 2023 in Venedig besucht. Denn 40 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes gehen auf das Konto des Baugewerbes. Es ist also radikal umbaubedürftig. Dafür – so die Ankündigung in den Medien – gibt es auf der Biennale vielfältige Ansätze, insbesondere aus Afrika. Für die Kuratorin Lesley Looko ist die nachhaltige Transformation in der Bauwirtschaft „eine Herzensangelegenheit“, wie sie sagt, und diese durch die Auswahl der Aussteller und Themen zeigen möchte.
Die Kuratorin Lesley Looko startet eine umfangreiche Diskussion
Lesley Looko, sagt über ihre Heimat Afrika: „Wir sind der Kontinent, der sich in einem beispiellosen Tempo humanisiert. Historisch gesehen wurden wir aus Gesprächen über Ressourcen, Management oder Landnutzung herausgehalten. Wir wollen nun vor allem mit Hilfe von Architekten die anstehenden drängenden Fragen des Wandels beantworten.“ Dabei werden in Venedig entgegen den Erwartungen nicht fertige Konzepte vorgestellt, sondern die Biennale dient als Plattform der Diskussion über nachhaltige Architektur, die insbesondere den Wohlstand in Afrika verbessern soll. 64 Nationen und 89 Aussteller sind in Venedig präsent.
Christian Benimana aus Nigeria fordert radikale Änderungen
So zeigt der Nigerianer Christian Benimana wie er ökologisch für ein Afrika baut, das jetzt schon mehr unter dem Klimawandel leidet als diejenigen, die ihn verursachen, wie er sagt. „Wir wehren uns radikal gegen einen Lebensstil, der meist für einen kleinen Teil der Weltbevölkerung geschaffen wurde. Es ist unmöglich so weiterzumachen. Wir müssen alles völlig neu denken. Vom Finanzsystem über die Architektur, die Lieferketten bis zur Bedeutung des Raumes.“
Die Architektin Mariam Kamara holt sich Wissen aus der Vergangenheit
Die Architektin Mariam Kamara aus Niger hat damit schon begonnen. Für sie liegen Dekolonisierung und Dekarbonisierung eng beieinander. Sie holt sich das Wissen aus der Zeit vor der Kolonisierung zurück und verknüpft es mit dem Wissen von heute. Statt mit Beton, der zusätzlich aufheizt, arbeitet sie mit Lehm, der kühlt. Mit recycelten Materialien baut sie kühlende Schirme für Marktplätze.
Konstruktionsalternativen aus lebenden Organismen im belgischen Pavillon
Im belgischen Pavillon zeigen Bento und Vinciane Despret Lösungen mit Materialien aus lebenden Organismen. Ihre Installation experimentiert im großem Maßstab mit natürlichen, lebenden Materialien, darunter roher Erde und Myzel (dem vegetativen Teil von Pilzen). Im zentralen Raum zeigen die Kuratoren eine Installation von Myzelplatten auf einer spektakulären Holzkonstruktion (12 m lang x 6 m breit x 6 m hoch), die auf einem Rohboden aus Erde ruht. Dies bietet den Besuchern die Möglichkeit, die sensorischen, taktilen, akustischen und poetischen Eigenschaften dieser Materialien zu erleben.
Materalien aus Brüssel in Venedig
Myzel, Holz und Erde stammen alle aus dem Stadtgebiet von Brüssel im Hinblick auf eine ultra-lokale, nachhaltige Versorgung. Die Struktur wurde speziell für den Abbau konzipiert und ihren Elemente werden in Venedig von der örtlichen Firma Re-Biennale, die mit dem Auf- und Abbau der Installation beauftragt wurde, ein zweites Leben ermöglicht.
Labor der Zukunft
Mit den angrenzenden Räumen, die dem Prozess des Experimentierens und der Herstellung der von Bento geschaffenen Installation gewidmet sind, gleicht die Installation einem der „Labore der Zukunft“, die die Kuratorin Lesley Lokko in dieser 18. Ausstellung gefordert hat. Es ist eine offene Tür zu einer anderen Art, Architektur zu schaffen, die auf lokalen Ressourcen basiert und die Entstehung und Entwicklung neuer Kanäle für lebende Materialien in Belgien und darüber hinaus begünstigt.
Tosin Oshinowo fordert eine Architecture of Adaptability
Eine afrikanische Architektin, die Nigerianerin Tosin Oshinowo, Gründungsdirektorin des cmDesign Atelier, Nigeria und Kuratorin der Sharjah Architecture Triennial 2023 nennt es „The Beauty of Impermanence“ und formuliert eine „Architecture of Adaptability“:
„Der gegenwärtige Stand der Beziehung zwischen Architektur und natürlicher Umwelt offenbart unsere globale und lokale Geschichte. Sie kommuniziert Prioritäten rund um Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit, die seit langem überdacht werden müssen. Im Kontext meiner Heimat in Nigeria hat der Kampf um Afrika die Saat des Kolonialismus gefestigt und die Prozesse der Ressourcengewinnung auf dem gesamten Kontinent bestätigt. Dies bestimmte das Tempo der begrenzten Entwicklung für die kommenden Jahrhunderte und schuf und verstärkte einen Teil der Trennung zwischen dem, was wir heute als „Globalen Norden“ und „Globalen Süden“ kennen. Im „Globalen Süden“ haben Probleme der Knappheit eine Kultur der Wiederverwendung, Wiederaneignung, Innovation und Zusammenarbeit geschaffen.“
Und weiter: „Diese Praktiken schlagen ein neues Denkmodell vor, das aus Mangel und nicht aus Überfluss entsteht. Dieses Modell zelebriert die Verwendung natürlicher Materialien mit dem Verständnis, dass Reparatur und Wiederherstellung instinktiv, notwendig und wünschenswert sind. Es umfasst auch die Idee, dass nichts dauerhaft sein kann und dass sich alles in unserer Umgebung an Bedingungen der Knappheit anpassen sollte, um unseren Realitäten und Bedürfnissen zu entsprechen, was zu einer fortschrittlichen und sich entwickelnden Architektur führt.
Die Antwort darauf, wie wir in unserer prekären Gegenwart eine nachhaltige Zukunft aufbauen können, hat ihre Wurzeln in Traditionen der Architektur und des Designs, die uns seit Generationen begleiten und sich ständig weiter entwickeln. Im gesamten „Globalen Süden“ haben viele Praktiker, Handwerker und Gemeinschaften langjährige Traditionen übernommen.
Verständnis für Vergänglichkeit und Bedingungen der Knappheit
Diese Ansätze legen Wert auf ein Verständnis der Vergänglichkeit, eine erfinderische Reaktionsfähigkeit auf Einschränkungen und eine Psychologie des Kollektivs, die für unsere gemeinsame Zukunft von wesentlicher Bedeutung ist.
Im Rahmen der Sharjah Architecture Triennial 2023 werden wir Designlösungen untersuchen, die auf Bedingungen der Knappheit basieren, und wie diese einen Weg nach vorne aufzeigen, um unser Gespräch auf Nachhaltigkeit neu auszurichten.
Während die aktuelle globale Perspektive auf Nachhaltigkeit auf technische Innovationen setzt, priorisiert diese neue Perspektive kontextbezogene Lösungen, die gemeinsame Nutzung von Ressourcen und die Wiederverwendung von Abfällen. Wir werden Beispiele von Arbeiten präsentieren, die auf einem grundlegenderen Konzept der Regeneration und Erneuerung basieren und ein Verständnis der Zirkularität unterstreichen, das uns seit Generationen begleitet. Wir werden Techniken erforschen, die genial sind und die Idee aufgreifen, dass alles vergänglich ist und der Entwicklung und Reparatur unterliegt, und die mit der Natur und nicht gegen sie arbeiten.“
Der Deutsche Pavillon: „Wegen Umbau geöffnet“
Solche Gedanken greift auch der Deutsche Pavillon in den Guardinis auf. Die Architekten Franziska Gödicke und Florian Summa denken bautechnische Veränderungen an, die sich von bisherigen Normen lösen. Mit ihrem Slogan: „Wegen Umbau geöffnet“ und dem lebendigen Workshop der Wiederverwendung von Materialien aus den Überresten der Kunstbiennale 2022 übernehmen sie das Denken ihrer afrikanischen Kollegen.
Architektonische Wegweiser in die Zukunft von Francis Kéré
Kéré Architecture hat sich in der Hauptausstellung „Laboratory of the Future“ mit einer Installation angeschlossen, die traditionelle architektonische Lösungen in Frage stellt und afrikanische Perspektiven hervorhebt. Das Projekt mit dem Namen „Counteract“ bietet einen Kontext zur Vergangenheit und potenziellen Zukunft der westafrikanischen Architektur. „Unsere Installation führt Besucher durch die Erkundung dreier Aspekte, was dies für die Architektur bedeuten könnte: Was war, was ist und was sein kann“, so der Architekt.
Lichtdurchflutete Gebäude von Sir David Adjaye
Der britische Architekt zeigt auf der Biennale Entwürfe, die ins Auge stechen, die eher für den kalten Norden als den heißen Süden geeignet sind, wenn man den Aspekt des Klimawandels berücksichtigt. Da Erklärungen fehlen, ist der Besucher allein gelassen. Lediglich die Kompetenz des Architekten an der formalen Gestaltung ist unumstritten.
Der dänische Architekt Anders Lendager baut fast ausschließlich mit recycelten Baustoffen
Anders Lendager trägt Bauteile aus Abrissen aus dem ganzen Land zusammen und baut damit nicht nur einzelne Häuser, sondern ganze Hauszeilen. Hier sind oft viele Ideen gefragt. Da sich beispielsweise Bausteine oft nicht vom Zementmörtel trennen lassen, werden ganze Backsteineinheiten herausgeschnitten und als sogenannter Superbackstein verwendet. Dies nur ein Beispiel, wie heute nachhaltig geplant und gebaut werden kann. Es wäre nicht nötig – so Lendager – neue Materialien zu verwenden. Im Grunde könne man abgerissene Gebäude fast zu 100 Prozent wieder verwenden. Vorausgesetzt, es ist ausreichend Phantasie vorhanden. In Dänemark kann man schon ganze „Ressourcen-Viertel“ besichtigen.
Norman Foster hat das Fertighaus der Zukunft entworfen
Nachhaltiges, erschwingliches Wohnen für den kleinen Geldbeutel und wenig Platzbedarf? Gibt es das? Das Forschungsprojekt Essential Homes der Norman Foster Foundation und Holcim zeigen auf der Biennale 2023 einen möglichen Lösungsansatz.
Das neuartige Fertighaus benötigt weder ein Fundament, noch sind Ausschachtungen erforderlich. Es ist eine Art Iglu mit einer Fläche von 36 Quadratmetern, dessen Kosten auf 19.000 Euro geschätzt werden. Sein Dach besteht aus aufrollbaren Betonplatten. Concrete Canvas verwendete dafür eine speziell entwickelte kohlenstoffarme Zementmischung von Holcim mit 20 Prozent weniger CO2. Dieser rollbare Beton ist eine einfach zu installierende Lösung, die im Vergleich zu herkömmlichen Anwendungen bis zu 95 Prozent weniger Material verbraucht. Darüber hinaus sind das Dach mit Airium-Mineralschaum und die Böden mit Elevate-Platten gedämmt, was für thermischen und akustischen Komfort sowie für Energieeffizienz sorgt.
Fazit
Insgesamt gesehen fällt es schwer, den Gedankengängen von Lesley Looko auf der Biennale zu folgen. Zu zersplittert und zu wenig ausformuliert sind die Präsentationen der 64 Nationen und der 84 Aussteller in den Guardinis und im Arsenale. Doch eines wird deutlich: Immer stärker tritt in den Vordergrund die Verknüpfung von Vergangenheit und Zukunft und der Verschmelzung der Ideen aus dem Süden und dem Norden. Die Verantwortung für die Zukunft führt zwangsläufig weg vom Überfluss hin zum überlegten Produzieren und Konsumieren und hin zu Gedankenaustausch und Kooperationen, wie sie auf der Biennale deutlich werden. Leider wird von diesen Überlegungen auf der Biennale 2023 kaum etwas sichtbar, was viele Besucher sehr enttäuscht und die Frage aufwirft, ob eine Architekur Biennale ohne ausreichend futuristische Architektur-Konzepte einen Sinn macht. Twist und ARTE haben wohl auch deshalb das Zukunftslabor Biennale genau nach diesen Gesichtspunkten durchforstet und darüber einen sehr informativen Film gedreht. Schauen Sie rein: https://www.youtube.com/watch?v=bkdC_swvuio